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Wenn zwei sich streiten ...
Sven Gränitz Sven Gränitz
Dipl.-Ing. Architektur
Jahrgang 1974
lebt und arbeitet in Chemnitz


Wenn zwei sich streiten ...


... sollen wir uns dann freuen? Sollen wir uns dann ärgern?
Nun, ich werde keines von beidem tun. Ich werde nicht loben, ich werde nicht verreißen. Man gestehe mir lediglich einen Hauch an Subjektivität zu, aber ich werde eines nicht tun: Bewerten! Zumindest in dieser ersten Kritik nicht.

... ja Sie haben recht, dann ist es keine Kritik. Aber seien Sie, verehrter Leser, unbesorgt. Es wird an dieser Stelle nicht fehlen an Lobeshymnen und Verrissen. Nur eben heute nicht. Nein, heute nicht.

"Flugzeugträger" nennt die Berliner Schnauze Helmut Jahns neueste architektonische Kreation am Kurfürstendamm in Berlin, das Neue Kranzler Eck. Ein Palast aus Glas, wie es sich eben für einen "Jahn" gehört. Seine diaphanen Glasscheiben, die über die Gebäudeecken hinausschießen und keine wirkliche Funktion haben, außer dass sie Luft durchschneiden und somit "vorn" von "hinten" oder "rechts" von "links" oder was auch immer trennen, sie sind nicht nur Jahns neustes Markenzeichen (von einer Philosophie wage ich nicht zu sprechen), sie negieren außerdem durch ihre dem Prachtboulevard zugewandte Scharfkantigkeit die Flaniermeile auf so beeindruckende Art und Weise, dass es einem in den Sinn kommen könnte, dies sei vom Architekten so gewollt. Ob es STADT auch so wollte, sei dahingestellt.

Wenige Schritte weiter, Ku'damm Nr. 178-179, residiert einer, der sich einerseits durch etwaige Interviews zur Zielscheibe der Jahnschen "Spitze" macht und andererseits erklärt: "Seine Häuser fangen nicht an zu schweben, sie müssen nicht unbedingt weiß gestrichen werden, und sie haben es auch nicht nötig, überwiegend verglast zu sein." Er meint Max Taut und zielt auf Walter Gropius und jene, die ihm geistig nahe standen und stehen. Mehr noch, die Aussage ist eine architekturtheoretische Kriegserklärung an (fast) alle formalistischen Strömungen seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts. Sein Name: Hans Kollhoff, Architekt. Und er fügt hinzu: "Der Aufstand von Architekten wie Gropius führte in die Irre." (Kollhoff setzt dieser Irre seinen Rationalismus entgegen). Gropius selbst antwortete bereits vor 64 Jahren als er 1937 Nazi-Deutschland verließ, nach Amerika ging und dort die Bibliothek der Harvard-Universität komplett ausräumte und erklärte: "Wir brauchen diesen ganzen historischen Ballast nicht mehr." Kollhoff baut ihn heute noch, diesen Ballast. In Frankfurt, in Berlin, in Chemnitz. Sind diese Gebäude vielleicht die Rache eines Mannes, den die Tatsache verzweifeln lässt, nicht im selben Jahr wie Schinkel in die Wiege gelegt worden zu sein? Karl Friedrich Schinkel, für Kollhoff der eigentliche Gründervater der Moderne, spielt für den Architekten eine gewisse Vaterrolle. Er, Kollhoff, beruft sich direkt auf dessen Architekturtheorie und geht quasi den gleichen Weg, hin zu einer Architektur der Gemütlichkeit, der Ornamentik, der Schöpfung, wie er selber sagt. Und er meint weiter, die Sehnsüchte und Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, durch eine Rückbesinnung auf die alten Werte, die frei sind von "verkommener Klötzchenspielerei" forciert durch die "Überheblichkeit" sowie "maßlose Selbstüber-schätzung" der Bauhaus-Architekten.
Dabei bedient sich Kollhoff einer überaus gefährlichen Gratwanderung. Seine epigonalen Werke drohen abzugleiten in das megalomane Formenrepertoire der Nationalsozialisten. Wissentlich oder auch nicht. Übrigens, Kollhoff ist Professor! Städtebaulich argumentiert er, der jeweilige Ort übe stärkste Energien auf seine Projekte aus. Was sind das für Energien, die derartig entartete Wucherungen hervorbringen. Seine Entwürfe seien der Versuch, die Gestalt aus der Analyse des Ortes zu finden und Unlogisches zu entfernen.

Galerie Roter Turm 

Am Beispiel des chemnitzer Projektes GALERIE ROTER TURM blieb es leider nur beim Versuch. Dieser Bau ist geradezu ein Symbol ohne gleichen für eine schlechte oder gar keine Analyse. Angesichts "logischer" Kreuzgänge, Schießscharten und Zinnen weiß ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Vielleicht stiftet dieser ganze Wahnsinn, wie Kollhoff die Architektur der letzten 80 Jahre zu bezeichnen pflegt, ein wenig Wirrwarr im Kopf des Architekten. Vielleicht sollte er seinem einfältigen Verständnis von Form und Ästhetik in Las Vegas oder Walt Disney World freien Lauf lassen. Die chemnitzer Bevölkerung jedenfalls ist mehr als bedient. Von Befriedigung der Sehnsüchte kann keine Rede sein. Chemnitz bleibt für immer gezeichnet. Mit einem Menetekel will ich meinen.

Ein anderer wiederum, beeinflusst durch Ludwig Mies van der Rohe, kehrte der Alten Welt frühzeitig den Rücken, ließ sich in Chicago nieder und baute und baute und baute und ... Also er baute!
Neuerdings auch wieder im heimatlichen Deutschland, back to the roots. Helmut Jahn selbst sagt soviel wie seine Gebäude es tun, nämlich nichts. Auf die Frage, warum er denn mit Glas und Stahl arbeite, antwortete er sinngemäß: Ihm komme es auf die Verstärkung und Verfeinerung der formalen bildhaften Intention an. Aha! ...? Wissen Sie vielleicht? Naja, Hauptsache 'ne Antwort. Doch das soll der Qualität seiner Gebäude keinen Abbruch tun. Eher integer denn provozierend kommen sie daher. Und am Potsdamer Platz in Berlin tut sein Hochhaus Unglaubliches. Es ignoriert den kollhoffschen Bau so beispiellos und so brillant, dass der Backsteinbau beinahe einer permanenten Peinlichkeit ausgesetzt ist. Mit seiner übersteigerten Tektonik und der bis zur Verzweiflung getriebenen Oberflächenstruktur schreit er den Sony-Tower geradezu bildhaft an.
Man möge mir, da sich jetzt die Gelegenheit bietet, die Frage zugestehen, welcher Bau von beiden nun irr und welcher rationalistisch ist.



 Galeria Kaufhof
 und
 Galerie Roter Turm

In Chemnitz erleben wir das genaue Gegenteil dieses Schauspiels. Hier tritt Jahns GALERIA KAUFHOF offen in den Affront mit seinem berühmten Nachbarn. Mit einem bildhaften Fingerzeig, einem weit auskragenden Dach als Wetterschutz und architektonischem Mittel, um Stadträume zu kennzeichnen, rückt der Bau dem orientalisch anmutenden Palast förmlich auf die Pelle. Dies als Drohgebährde einzustufen, wäre überzogen, dennoch lässt sich der Eindruck einer gewollten Erniedrigung des Gegenüber nicht verleugnen. Geschickt wandelt Jahn das rein Verbale, den meist in Worten gefassten Streit, in eine Zeichenhaftigkeit um, die nicht nur eindeutig ist, er vermag auch den formal schwächeren Baukörper, weil niedriger und leichter in seiner Wirkung, über den scheinbar optisch stärkeren siegen zu lassen. Er schafft dies durch eine minimale Geste.

 Galeria Kaufhof

Wenn sich also zwei streiten, oder besser, wenn sie streiten lassen, nämlich ihre Gebäude, dann haben alle was davon. Und wir dürfen Tag für Tag in den Städten diese Auseinandersetzung der Architekten um Prestige und Anerkennung miterleben. Ob man sich dann freut oder ärgert, bleibt letztlich uninteressant. Vielmehr ist es gerade dieser Wettstreit, das Wetteifern der Baumeister untereinander, denen die Städte ihre stilistische Lebendigkeit, und wenn der Baumeister besonders gut war, manchmal auch ihre Urbanität verdanken. Diese Erkenntnis macht den Kollhoff-Tower am Potsdamer Platz fast schon wieder sympathisch. Schließlich ist er es, der die Gemüter erhitzt, der in Frage stellt, Diskussionsfelder freigibt und zuletzt diese ungeheure Spannung am Ort erzeugt.

Was bleibt, ist ein Dankeschön an die Herren Architekten, denn ohne ihre zu Stein oder zu Glas gewordenen Selbstinszenierungen gäbe es keine Kritik, wie langweilig.

 
 
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